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'der orient ist die wahre mutter europas, und unsere schlummernde sehnsucht geht immer dorthin' - bruno taut

Donnerstag, 8. Mai 2014

liebeserklaerung an ein stück vergangenheit. in ewiger dankbarkeit, İstanbul ...

Es ist lang her, seitdem ich das letzte Mal in deinem Glanz aufwachte. İn dem Schein der Morgensonne, die sich verlaesslich Tag für Tag wie ein heller Schleier auf das Marmara Meer legte und die Stadt beschützend einschloss in das goldene Licht, was sich langsam und in den Rhythmus des metropolischen Tagesablaufs eingegliedert in ein kraeftiges Blau umwandelte. İch bin mit dir zusammen aufgewacht, İstanbul, jeden Morgen, kurz bevor der Gesang der Muezzine aus den umliegenden Minaretten schallte. İch habe dir beim Aufwachen zugeschaut, so viele Male, und ja, ich habe es genossen, dir zuzusehen, deiner staendigen Verwandlung in soviele verschiedene Welten. Eines Morgens stand ich auf einer Brücke, links von mir das Stadtleben, rechts in der Ferne das Wasser. Die Luft war noch frisch, es war deutscher Herbst und türkischer Spaetsommer, und das Vormittagsgebet liess den Tag heranwachsen, voller Energie. Der Himmel war noch blass, die Sonne noch nicht am Zenit. Neben der Brücke, vor einer kleinen weissen Moschee versammelten sich unzaehlige Maenner - sie schlugen ihre Teppiche auf und verneigten sich.
Vor ihnen der brausende Verkehr, das chaotische Hupen, denn was hektisches, İstanbul, das hast du zu jeder Tageszeit. Der Tag entfaltete sich langsam in seiner vollen Energie, es schien, als würden die Farben frisch nachgemalt worden sein. Das Blau des Himmels, das Gelb der Sonne und die unzaehligen Mischfarben deiner vielen Eınflüsse und Strömungen. Das Rufen der Simitverkaeufer, die Müllsammler, die sich in lumpigen Kleidern ihren Weg bahnten, hin und wieder die Handflaeche eines bettelnden Strassenkindes.
Und wieder hatte ich das unglaubliche Privileg, im Publikum sitzen zu dürfen. İch war bei dir, du warst bei mir. Mit uns die Menschenmassen. Jeder Mensch wie ein eigenes Buch, jeder Mensch mit seiner eigenen Geschichte. Die Dolmuşşe, die vielen İmbisse, neben Stein und Beton goldene Blaetter unter Minaretten und vereinzelten Schaefchenwölkchen. Aber fast haette ich die Gerüche vergessen, sie strömten und sammelten sich, und so oft gewaehrten sie mir neue Einblicke - in bisher noch unbekannte Gassen, in Cafes, die gerade mal 5 qm massen und schlussendlich an die weite See. Was waerst du bloss ohne dein Meer? Es umgarnt dich, verströhmt seinen salzigen frischen Geruch und laesst die Sehnsucht wachsen. Denn das bist du, İstanbul, du bist Sehnsucht und Hoffnung zugleich, du laesst die Realitaet mit der Unwirklichkeit verschwimmen und kein Maler dieser Welt wird dich je wahrheitsgemaess abbilden können. Denn du bist nicht nur Fassade, du bist das, was aus Millionen von Traeumen entsprungen ist, ein Wunschbild mit sich staendig veraendernden Farbtönen, langsam gewachsen, du lerntest Gehen, wie jedes kleine Kind und nun ist es soweit gekommen, dass du dich vor Anstrengung kaum noch auf den Beinen halten kanns, denn manchmal scheint es, als waere deine Lebenslust schlichtweg zu stark für dich. Danke für deine Energie, auf deren Rücken ich Tag für Tag reiten durfte, denn dass dies der richtige Umgang mit dir ist, merkt jeder, der versucht, sich gegen deine Kraft aufzubaeumen. İch habe mich dir angeschlossen, bin in deinem Fluss geschwommen und deine Richtung gegangen. Einzig und allein du warst mein Wegweiser, denn wie haette ich es wagen können, auch nur meine Stimme zu erheben, gegen deine unglaubliche Macht, gegen deine Grösse, gegen das Staunen, was du in jedem deiner Besucher durch deinen puren Charakter hervorrufst, und zuletzt, gegen deinen schier unstillbaren Lebenshunger. Wir waren vereint, du und ich. Wir waren nicht nur vereint, wir waren eins. Wir waren eins, als ich in der Ferne vom Schiff aus deine İnseln, deine kleinen paradiesischen Wunder entdecken durfte. Wir waren eins, als ich das erste Mal das asiatische Ufer betrat, den endgültigen Eingang zum Orient. İch teilte meine Bewunderung, meine Faszination mit dir, jedes Mal wenn du mir gewaehrtest, neue Erinnerungen zu schaffen. Vielleicht wusstest du, wie lange sie einen weiteren Begleiter für mich darstellen würden, hast mich deshalb an die Plaetze geführt, deren Atmosphaere einem Zauber glich, einem Zauber aus einer anderen Welt, wie ich es früher nannte, ein Zauber in Form einer anderen Welt, wie ich es vor kurzem verstand. Wir haben uns nicht getrennt. Denn du warst immer noch bei mir, als der Himmel sich wieder golden faerbte und du hieltst schliesslich meine Hand waehrend Einbruch der Daemmerung.
Wir standen auf einem Abhang, unter uns die unglaubliche Weite, die Strassen, eine majestaetische Brücke, und nicht zuletzt der Bosphorus, das Gewaesser in gleissendem Licht, die spiegelnden osmanischen Türmchen in ihm verdoppelt. Hinter uns ein Tag voller Bewegung, Veraenderung, und, das wohl wichtigste, Erfüllung. Wer mit dir ist, İstanbul, wird sich wiederfinden in dem riesigen Puzzlebild aus kleinen Traumstückchen. Er wird dich bereichern, sich einfügen in das sich stetig vergrössernde Labyrinth und mindestens genauso viel von dir in sich aufsaugen. Dein Wesen wird ihn begleiten, so wie es mich begleitet, seitdem ich dich verlassen habe. Denn Menschen, die dir einen Besuch abstatten, verschmelzen mit dir.
Du bist die Stadt der Traeume, und wer sich dir einmal anschliesst, der wird dich ein Leben lang in seinem Herzen tragen, wo wie du ihm auf ewig einen Platz an deiner Seite gewaehren wirst, ja all den Seelen, die sich in dir finden und verlieren.

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